Heusenstamm im Auf und Ab der Geschichte


Die Herren von Heusenstamm

In der ältesten heute bekannten urkundlichen Erwähnung Heusenstamms heißt es 1211:

Ich Godfried von Eppstein ha tzu lehen von dem Riche die Burg Husenstam und das Dorf vor der Burg auch also genannt und dazelbe hat von uns tzu lehen, beide Burg und Dorf Gebawre von Husenstam.

Nach dieser Urkunde war Heusenstamm eine Reichsburg und freies Eigentum der Herren von Eppstein, das sie als Afterlehen an die Herren von Heusenstamm übertrugen. Nach der Urkunde bestanden Burg und Dorf 1211 bereits, vielleicht wurden sie um 1180, der Zeit Kaiser Friedrichs I. (Barbarossa) gebaut; der genaue Zeitpunkt liegt jedoch im Dunkel der Geschichte. Daher sieht Heusenstamm heute die Ersterwähnung als seine Geburtsstunde an.

Um 1200 ließ auch das Kloster Patershausen das Dunkel der Vergangenheit hinter sich und gelangte unter Zisterzienserinnen zur Blüte; das nahe gelegene, um 800 zweimal urkundlich erwähnte Dorf Bellingen war bereits zur Wüstung geworden. Von Renigishausen, einst zwischen Heusenstamm und Patershausen an der Bieber gelegen, finden sich heute noch die Fundamente einer Wassermühle.

Fast 500 Jahre lang dauerte die Herrschaft der Herren von Heusenstamm, jedoch nur zwei von ihnen traten ins Rampenlicht der Geschichte: Ritter Martin (1456(?) -1540) baute das Schloss aus, begleitete 1495 als Vasall Erzbischof Berthold von Mainz auf den Wormser Reichstag (Reichsreform: Fehdeverbot, Reichskammergericht) und wurde als Vizedomus Stellvertreter des Kurfürsten von Mainz. Sein Sohn Sebastian von Heusenstamm wurde –als Nachfolger Albrechts von Brandenburg - selbst Erzbischof und Kurfürst von Mainz und damit Erzkanzler des Deutschen Reiches. Er nahm 1550 am Reichstag zu Worms und 1552 am 2. Konzil zu Trient teil. Sebastian von Heusenstamm starb 1555, dem Jahr des Augsburger Religionsfriedens, an dessen Zustandekommen er maßgeblich beteiligt gewesen war. Er ruht im Dom zu Mainz, wo man ihm zu Ehren ein Epitaph errichtet hat. An seine Mutter aber erinnert der reiche Grabstein an der Einfahrt zum Hofgut Patershausen:
"Im Jahre des Herrn 1508 auf den 12. Tag im Juni starb die angesehene Elisabeth Brendel von Homburg, Martin, Ritter von Heusenstamms eheliche Hausfrau, der Gott gnädig sei."

Gottes Gnade sei auch denen, die den dreißigjährigen Krieg ertragen mussten! Zuerst fielen die kaiserlichen Truppen unter Tilly in Heusenstamm ein. "Den Soldaten war alles zu plündern erlaubt,... nur Mühlsteine und glühendes Eisen sollen sie liegen lassen..." Später erlitten Schloss und Dorf bei Kämpfen zwischen Schweden und Kaiserlichen schwere Zerstörungen. Hunger durch Missernten, Kälte und die Pest rafften nahezu alle Menschen dahin.

Damals siedelten die Herren von Heusenstamm österreichische Familien in das menschenleere Heusenstamm um, denn sie selbst lebten seit Anfang des 17. Jahrhundert in Österreich. Da die Verwaltung der Herrschaft Heusenstamm jedoch von dort aus schwierig war, verpachteten sie die Herrschaft an den Frankfurter Patrizier Stefan von Cronstetten.

Zu dieser Zeit wurde auch das stattliche heutige Pfarrhaus von St. Cäcilia gebaut, das ursprünglich als Wohnsitz für Witwen geplant worden war.

Inzwischen zu Reichsgrafen erhoben, verkauften die Grafen von Heusenstamm 1661 "das freie reichsunmittelbare Schloss und Dorf Heusenstamm samt Gravenbruch, das halbe Dorf Espa (heute Ortsteil von Langgöns) und das Bergwerk daselbst samt .... Gerichten, Recht und Gerechtigkeit ....usw. usw. ...." für 27 800 Gulden an Ritter Philipp Erwein von Schönborn, mainzischer Amtmann in Steinheim. 

Vom Dorf zur Kleinresidenz

Ritter Philipp Erwein plante eine neue vierflüglige Schlossanlage, aber schon im ersten Baujahr klagte er " ich habe mich eben wegen des Heusenstammer bauhwes ganz ausgesekkelt ..." . So blieb es beim Bau von nur einem Flügel. Er kaufte Obertshausen und Hausen (damals "Hausen hinter der Sonne " genannt) mit Gravenbruch für 9 000 Gulden.

Das Haus Schönborn sah für fünf der sieben Enkelsöhne Philipp Erweins die geistliche Laufbahn vor, während sich zwei des Fortbestandes der Familie in zwei Linien annehmen sollten. Einer davon war der kaiserliche General Graf Anselm Franz (1681 – 1726). Zur Gattin wählte ihm die Familie die Reichgräfin Maria Theresia von Montfort (1698 –1751) aus, deren Familie auf eine sehr lange Tradition als Reichsgrafen zurückblickte. Als Wohnsitz wiesen die Schönborns dem jungen Paar das Schloss Heusenstamm zu. Als Graf Anselm nach nur neun Ehejahren 1726 starb, übernahm Gräfin Maria Theresia als "Vormünderin" ihrer drei Söhne (2 verstarben noch als Kinder) für fast 25 Jahre die Regentschaft über die Herrschaft Heusenstamm.

Schloss_im_Schnee5.jpg         Das Schloss von Heusenstamm, heute das Rathaus der Stadt

Durch ihre Bauten (Balthasar Neumanns Pfarrkirche St. Cäcilia mit Familiengruft der Schönborns, Schulhaus, Anbauten ans Schloss, Schlossmühle, Barockpark von 66 Morgen) verwandelte Maria Theresia das Dorf Heusenstamm in eine kleine Residenz. Im Gefolge ihres Baubooms gründete sie die Hochgräfliche Schönbornzunft in Heusenstamm. Ihr soziales Engagement ließ sie für die sorgen, für die sie sich verantwortlich fühlte. Die Milde Knabenstiftung (ein Waisenhilfswerk) bestand bis zur Inflation 1923. Reichsvizekanzler Friedrich Karl, Bischof von Bamberg und Würzburg, ihr Schwager, sprach von ihr als einer wackeren gescheiten Frau. Man könnte sie auch eine fürsorgliche Landesmutter nennen.

Im März 1764 weilte Kaiser Franz I mit zwei Söhnen und seinem Hofstaat für eine Woche im Heusenstammer Schloss. Sein Sohn Joseph II sollte in Frankfurt zum Römischen König gewählt werden und es galt, das Ergebnis der Wahl abzuwarten. Diesem spektakulären Ereignis hat Graf Eugen Erwein, der Sohn Maria Theresias, mit dem Torbau, Goethe in Dichtung und Wahrheit ein bleibendes Denkmal gesetzt.

"Eugen Erwin Graf v. Schönborn-Heusenstamm geb. 1727 gest. 1801" steht auf dem Stein in der Familiengruft in Göllersdorf (Österreich), in der auch der Leib seiner Mutter, Reichsgräfin Maria Theresia ruht. Da er keine männlichen Nachkommen hatte, erlosch mit ihm die Heusenstammer Linie. Der Besitz der Herrschaft Heusenstamm fiel an die Linie Schönborn-Buchheim, später im Tausch an die Linie Wiesentheid.

Im Rahmen der mit Napoleon geschlossenen Rheinbundakte kam Heusenstamm unter die Souveränität des Fürstentums Isenburg-Birstein. Damit endete 1806 die Reichsunmittelbarkeit der Herrschaft Heusenstamm.1816 fiel sie an Hessen.

Während der napoleonischen Kriege hatte die Bevölkerung durch Einquartierungen und Ausschreitungen schwer zu leiden. Das Schloss wurde durch österreichische, russische und preußische Lazarette sehr ruiniert. Später wurde es Sitz des gräflichen Rentamtes und wurde auch von Beamten bewohnt.

Auf dem Weg in das industrielle Zeitalter

Ausgehend von 818 Einwohnern im Jahr 1828 wuchs die Bevölkerung Heusenstamms zunächst behutsam, verdoppelte sich aber von 1871 bis 1910 auf dann 2 760 Einwohner. Es ist die Geburtsstunde des "Neuen Alten Ortes", d.h. der Bebauung jenseits der Frankfurter Straße. Die Landwirtschaft als Erwerbszweig ging stetig zurück, stattdessen entstanden Kleinbetriebe, vor allem Portefeuiller und Lederschärfer. Als die Eisenbahn ab 1898 Heusenstamm mit den nahen Städten verband, konnte man sich auch dort Arbeit suchen.

Das von Maria Theresia erbaute Schulhaus ging in Gemeindeeigentum über und wurde Rathaus. Die 1650 erbaute Synagoge fiel der Pogromnacht zum Opfer. Heute erinnert nur der erstmals 1627 erwähnte jüdische Friedhof an die vielen Juden, die in früheren Zeiten unter dem Schutz der Herrschaft in Heusenstamm gelebt haben.

Mit dem Einmarsch der US-Truppen im März 1945 schienen die Schrecken des Krieges und der Verfolgung vorbei. Ein Jahr später waren die ersten demokratischen Wahlen. Zu dieser Zeit hatte Heusenstamm 3 100 Einwohner. Sie nahmen 1 500 Heimatvertriebene aus Schlesien, Ostpreußen und dem Sudetenland auf.

Im Aufwind des Wirtschaftswunders

1959 erhielt Heusenstamm das Recht, die Bezeichnung Stadt zu führen. Seine Einwohnerzahl wuchs bis 1970 auf über 14 000 an. Die neuen Wohn- und Gewerbegebiete hatten sich im wesentlichen süd- und westlich vom alten Dorfkern ausgedehnt. Als 1977 die alte geschichtsreiche Gemeinde Rembrücken neuer Stadtteil wurde, war dies ein weiterer Wachstumsschub für die junge Stadt.

In jener Zeit (1978) war es ein mutiger Schritt, das Schönborn-Schloss zu kaufen, das nach dem Auszug der Postschule eher einem Dornröschenschloss glich. Das ist nur noch schwer vorstellbar, wenn man es heute strahlend vor bunten Blumenrabatten liegen sieht, eine Kulisse vieler Hochzeitsfotos und Stätte froher Feste: das Rathaus der Schlossstadt, wie Heusenstamm jetzt auch genannt wird.

Ein altes Versprechen wurde 2003 eingelöst: die S-Bahn ging in Betrieb. Sie verbindet Heusenstamm mit den wirtschaftlichen und kulturellen Zentren der Region. Ihr zu Ehren war der Bahnhofsplatz zu einem einladenden Entree neu gestaltet worden. Das alte Bahnhofsgebäude selbst gibt einem Bistro/Restaurant Namen und Raum.

Und Heusenstamm bietet mehr. Großzügige Sportanlagen und ein neues Hallenbad werden ergänzt durch kulturelle Einrichtungen wie das Haus der Literatur, der Musik und der Stadtgeschichte sowie die VHS. Ein breites Spektrum von Sport-, Kultur- und sonstigen Vereinen bereichern die Palette zur Freizeitgestaltung. Vereine pflegen auch die Beziehungen zu den vier Partnerstädten Heusenstamms: St. Savin (F), Tonbridge & Malling (GB), Malle (B) und Ladispoli(I) und ließen Freundschaften über die Landesgrenzen hinaus entstehen.

Sie alle findet man wieder auf dem Nikolausmarkt, der mit seinem besonderen Flair seit 29 Jahren die Menschen von weit her nach Heusenstamm lockt. Die alten Mauern des Bannturms wachen über den Heusenstammer Kultursommer, der mit seinem vielfältigen Programm zum festen Bestandteil im Kulturleben der Stadt wurde. Im festlichen Trausaal des benachbarten Hinteren Schlösschens werden nicht nur Heusenstammer Ehen geschlossen; er dient auch kulturellen Veranstaltungen aller Art.

Wer eher die freie Natur vorzieht, findet zahllose Möglichkeiten. Einer der schönsten Spaziergänge jedoch führt auf der wieder hergestellten Allee des alten Schlossparks vorbei an Teichen zum Schloss. Auf der Regionalparkroute gelangt man weiter durch die Bieberaue nach Patershausen. Einst hatte Maria Theresia Patershausen gekauft und aus den Ruinen des früheren Klosters ein stattliches Hofgut bauen lassen. Heute im Eigentum der Stadt und von einem Demeter-Bauern bewirtschaftet, ist Patershausen immer einen Ausflug wert.

So ist Heusenstamm mit seinen rund 19 000 Einwohnern weit mehr als eine Schlafstadt Frankfurts. In dieser "kleinen Residenz" vereinigen sich Geschichte und Natur. Hier fühlen sich die Menschen wohl.

                                                                    Dr. Volker Schneider

 

Mehr zur Geschichte Heusenstamms findet man in

- Heinrich Roth, Gräfl. von Schönborn´scher Sekretär, Ortsgeschichte von  Heusenstamm, Selbstverlag [1911]
- Richard Wimmer, Heusenstammer Kalender, Stadt Heusenstamm [1979]
- Heften des Heimat & Geschichtsvereins Heusenstamm